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Nicht einmal die Kälber hinter den Geleisen nahmen mich zur Kenntnis, starrten irgendwie blöd&sinnlos in den Morgen und kauten missmutig das Gras von gestern wieder&wieder. Die Erwarteten hasteten, aus unterschiedlichsten Häusern kommend, an mir vorbei; Stress in Haut&Hirn, mit den Fingern Glas oder Plexi streichelnd und auf andere Leben hoffend, stürz­ten sie sich über rollende&gemeine Treppen in vertraute Schlünde, aus denen sie von Zügen – die im Zehn-Minuten-Takt heranrollten – befreit, zusammengepresst und in ihre Stollen gefah­ren wurden, auch wenn die Schweizer Gruben, ausgenommen das Salzbergwerk von Bex, schon vor vielen Jahren geschlossen worden waren.
Das WuselnDrängelnHetzen nahm kein Ende; aus allen Richtungen strömten die scheinbar Zielgerichteten, wurden in Autos noch schnell weggeküsst oder abgeklatscht beziehungsweise aus Trams oder Bussen gestossen; so viele waren es, dass ich darauf zu achten begann, ob ich dieselben ein zweitesdrittesviertes Mal an mir vorbeijagen sähe, weil sie nur durch den Untergrund gelaufen, sich auf der anderen Seite von der Rolltreppe wieder hatten hochfahren lassen, um sich erneut in die Masse einzureihen; fast wie damals, an einem warmen Sommer­abend in der Nähe des Bahnhofs Enge, als so viele RollerbladerInnen an uns vorbeizischten, dass wir uns fragten, ob sie auch aus DeutschlandÖsterreichLiechtenstein an diesem Event teilnähmen, bis wir erkannten – die fuhren Runden, eine um die andere; aber von denen, die auch an diesem Morgen um das Recht rannten, das Leben zu geniessen und diesen Genuss bezahlen zu können, drückte sich keine&keiner ein zweites Mal an mir vorbei, nahmen alle ihre Geschichten mit – unerzählt.

Die Frau, die in einer mir unverständlichen Sprache dauernd in ihr Handy schrie – als müsste sie Tausende von Kilometern mit blosser Stimme überwinden, um ihre Verwandten zu beruhi­gen, die in fernen Kontinenten von ÜberschwemmungenErdbebenBürgerkriegen geschreckt wurden –, die aber auch mit FussballerInnen hätte handeln, gefälschte Bilder hätte ersteigern, ihr Kind hätte verloren haben oder ihre Krankenkasse nicht mehr hätte bezahlen können, so verzweifelt klang das.

Der Mann, der fast jeden Tag, vom ersten bis zum letzten Bus, den vordersten Platz besetzte, sich nur über Mittag eine Pause von seinem Dienst gönnte, alle BusfahrerInnen kannte&bequatschte, von ihnen zum Geburtstag ein kleines Geschenk erhielt; an diesem Tag sah ich den, womöglich, ehemaligen Buschauffeur zum ersten Mal aussteigen und sich mit den Lemmingen in die Tiefe stürzen, vielleicht war seine Frau nach drei Jahren aus dem Koma erwacht, musste er sich gegen eine Anklage wegen Steuerhinterziehung verteidigen oder auch nur neue Unterwäsche kaufen.

Der Mensch, der auch eine Frau sein konnte …

…war seit zwanzig Jahren verheiratet, ging mit zufriedenem Lächeln aus dem Haus, kehrte mit zufriedenem Kopf zurück, freute sich über die zufriedenen Gesichter, die ihnsie empfin­gen&verabschiedeten, erinnerte mich an meine Grossmutter – «Unsereiner», sagte sie immer wieder, «hat nichts zu erzählen», seufzte zweidrei Mal in der Stunde ein «Soso» in ihre kleine Welt hinaus –, ersie hatte sich gestern Nacht mit dem bekannten «Ich muss noch schnell Ziga­retten holen» verabschiedet und war zehn Minuten später schon wieder zu Hause gewesen; keine Geschichte für HappyDay oder BettlerInnen, dafür hätte es schon die Amourfou zu ei­nem Zwerghasen gebraucht, den Verlust sämtlicher Ersparnisse, das Ferienhaus in Splügen inklusive, beim Versuch, das entlaufene Viech zu finden…

…rechnete noch einmal den Sanierungsvorschlag für die Geschäftsleitungssitzung um zehn durch, die Zahlen stimmten; würde um elf selbst freigestellt sein…

…würde auch heute Abend&jedes Wochenende, zusätzlich zur Ausbildung als Megapraktike­rIn, in einer Bar Drinks rühren&schütteln, um die vom Vater auf sich überschriebenen Schulden abzuzahlen, der Mann einer wegen eines multiplen Kriegstraumas erwerbsunfähigen Frau hatte seine Eltern in Kroatien beim Wiederaufbau ihres zerstörten Häuschens finanzi­ell&tatkräftig unterstützt, hatte versucht, seinen Lohn im Casino aufzustocken, um seinen Kin­dern, ihmihr zum Beispiel, ein besseres Leben zu ermöglichen, aber, simple Roulette-Arithme­tik, mehr verloren als gewonnen…

…die Frau, die, seltener, auch ein Mann sein mochte, hatte vor drei Jahren wegen des de­menten Vaters eine gut bezahlte Stelle gekündigt, um ihm das Pflegeheim zu ersparen, auf Arbeitslosengelder verzichtet, um keine Zeit fürs Schreiben der geforderten Bewerbungen zu verlieren, sich garantiert nicht in die Lage zu bringen, eine verdutzte Personalchefin oder ei­nen ebenso perplexen HR-Mitarbeiter – derdie ihrihm trotz eines nachlässigen Bewerbungs­schreibens sowie eines unvollständigen Lebenslaufs «eine Chance geben» wollte – überzeu­gen zu müssen, jemanden zu berücksichtigen, derdie dieses Glück, im Gegensatz zu ihrihm, verdient hätte, lebte längst von der Altersrente und im Haus des Vaters…

…hatte, wieder einmal wider jede Vernunft&Erfahrung aufs Immer&Ewig hoffend, in den letzten Wochen mehr als einmal der Emotion den Vorzug vor der Ökonomie gegeben, hatte, an das immer mögliche Ende denkend, der Begeisterung eines verliebten Menschen und der eigenen Leidenschaft schon am frühen Morgen nachgegeben, was die Stempeluhr den Zuständigen gnadenlos verraten und so dafür gesorgt hatte, dass ersie jetzt einem Menschen auf einem Amt regelmässig beweisen musste, dass ersie alles dafür tat, um möglichst bald wieder zu denen zu gehören, die ihr Geld nicht nur erhielten, sondern es auch verdienten…

…schleppte drei überfüllte Koffer zur Rolltreppe, geriet in Panik, als einer von ihnen sich öff­nete und ZahnpastaE-ReaderRasierklingenUnterwäsche-Dörrfrüchte über die rotierenden Stu­fen kippte, griff zwischen den Beinen der Lachenden – die dem verzweifelten Menschen StrümpfeTaschenapotheke-Schokoriegel zuwarfen – nach den verstreuten Habseligkeiten, stopfte sie hektisch in den Aufgeklappten, musste unbedingt den gebuchten Flieger erreichen, sonst wäre die gestern endlichendgültig gelungene Trennung von der Mutter gefährdet gewe­sen, liess schliesslich einen Koffer zurück, in Neufundland verkauften sie auch Bananen, aber beim Check-in war das Ticket weg…

…hatte alles vorbereitet, um dem armseligensinnlosenbeschränkten Leben ohne Erfolg&Liebe ein Ende zu setzen, liess sich von den Eifrigen mit den ihnen umgehängten Geschichten be­eindrucken, wollte ihnen die Unannehmlichkeiten eines Personenschadens ersparen, liess sich vom Strom mitreissen und sich wie alle anderen, wenn auch ohne Tagesbefehl, aber im­mer schön in der Reihe gehen, ans Ziel fahren, sass pünktlich an einem Kaffeetisch, wusste nicht wozu und hatte kein Geld dabei...

Sie alle drängten sich den Aussteigenden entgegen, noch bevor diese ihnen Platz machen konnten, so geschäftig, als käme das kleinegrosse Räderwerk ohne sie ins Stocken, als hänge es daran, dass sie endlichendlich vom Niemand zum Jemand werden und deshalb am Abend in der «Tagesschau» oder zumindest in «glanz&gloria» zu sehen sein würden. Nur er liess einen Zug nach dem anderen abfahren, nicht aus Unbeholfenheit «wi dä wo dr Zug het verpasst» bei Mani Matter, sondern aus Berechnung.

Zum ersten Mal hatte er sich vor etwa zwei Jahren in mein Leben gemogelt, in einer Zeit, in der ich noch zu den Gefragten gehörte – die sich gerne über volle Mail&Comboxen beklagen –, Funktionen hatte, für die viele das Wort «Führung» verwenden, ohne, wenigstens innerlich, ein klein wenig zusammenzuzucken, selbst solche, die zumindest aus Geschichtsstunden&TV-Dokumentationen, noch den Klang des «grössten Führers aller Zeiten» im Ohr haben müssten. Da ich ihn – im Gegensatz zu jenem FüchsleinRehWildschwein, das mich, noch ohne LED-Scheinwerfer, auf einem leicht abfallenden Kiesweg gerammt und mit CitybikeVelokörbchen­Rucksack ins nachtdunkle Mais- oder Rapsfeld geschubst hatte – bestens sah, es war ein gol­dener Herbstnachmittag, konnte ich noch rechtzeitig bremsen und dem sich quer in meine absehbare Fahrspur Stellenden ausweichen, allerdings nicht so grossräumig, dass mir sein Auftritt erspart geblieben wäre.
Er hüpfte&fuchtelte vor mir herum wie ADHS-SchülerInnen auf Ritalinentzug, und so redete er auch auf mich ein; ich würde, müsste sicher denken, er sei, aber nein, betteln – das würde er nie, es sei schlimm, so peinlich sei das, noch nie sei ihm – die Brieftasche, das Handy… Wäre er ein Stotterer gewesen, er hätte mindestens drei Mal ansetzen müssen, bis er mir auch das Portemonnaie als gestohlen hätte melden können, aber ein Stotterer war er nicht (oder nicht mehr), er sprach so schnell wie FussballreporterInnen, wenn auf dem Platz etwas passiert; er müsse nach Hause, irgendwie, nach Bern müsse er und wisse nicht wie; er sehe doch nicht aus wie ein Bettler, vergewisserte er sich eins ums andere Mal. Eine rhetorische Frage, Bettle­rInnen sehen nicht aus, wie wir sie uns vorstellen oder wie Jonathan Jeremiah Peachum, der Inhaber der Firma «Bettlers Freund» in Brechts «Dreigroschenoper», sie noch ausgestattet hatte – als «Opfer des Verkehrsfortschritts», «Opfer der Kriegskunst», «Opfer des industriellen Aufschwungs» oder «junger Mann, der bessere Tage gesehen hat».
Er blieb, trotz meines argwöhnischen Zögerns, freundlich, wechselte zum Du, da hinten, er deutete in die Industriezone, arbeite er, seine Kleider bestätigten meine Zweifel nicht, jeden Tag komme er mit dem Zug von Bern, dann fahre er mit dem Velo ins Geschäft; sein Fahrrad lehnte an einem Maschendrahtzaun, hinter dem die frisch geschorenen Schafe weideten. «Und du», wollte er wissen, «wohin gehst du?», ersparte mir das obligate «Was bist du?», kam, bevor ich zu einer nichtssagenden Antwort ansetzen konnte, wieder zur Sache, nannte schliesslich einen konkreten Betrag – 50 Franken, der Zug sei teuer geworden.
Jede&jeder, sagte ich, würde mich einen naiven Trottel, würde mir prophezeien: «Das Geld siehst du nie mehr!» Er solle mir seine Adresse geben, verlangte ich. «Peter Keller, Wil­strasse 37, Bern», diktierte er, nahm meinen Einzahlungsschein, selbstverständlich werde er mir das Geld in den nächsten Tagen, sonst könnte er sich am Morgen nie mehr im Spiegel, so unan­genehm sei ihm das. Als ich das Portemonnaie zückte, verdoppelte er den Betrag, er müsse ja morgen wieder von Bern nach Zürich zur Arbeit fahren können; meinen Einwand, zu Hause habe er doch sicher Geld oder könne sich etwas organisieren, überhörte er, das Halb­tax, winkte er ab, sei in seiner Brieftasche gewesen, liess nicht mit sich «märte», und das Velo, das müsse er auch mitnehmen, damit er in Bern nach Hause, das mache nochmals 18 Fran­ken; irgendwie konnte ich es ihm nicht abschlagen, überlegte, wie es mir ginge, wenn jemand in einer solchen Situation meine Aufrichtigkeit in Frage stellte, gab ihm schliesslich die 120 Franken. Dass er morgen für das Fahrrad auch wieder würde zahlen müssen, eigentlich ein 1.-Klass-Ticket brauche, um die Füsse, die müden, hochlagern zu können, darauf verzich­tete er, wünschte mir «Chumm guet hei» und winkte mir mit meinem Einzahlungsschein nach.
Zu Hause hatte mich mein Misstrauen, das gesunde, wieder; ich checkte die noch knapp les­bare Adresse, natürlich gab&gibt es keine Wilstrasse in Bern, und im Haus Nummer 37 wohnte auch kein Peter Keller. Der sich so nannte, kam mir drei, vier Tage später wieder entge­gen­gefahren, das mit dem Arbeitsort schien zu stimmen, und das Velo hatte er tatsächlich von Bern wieder mitgenommen, falls er mit meinem Geld überhaupt nach Bern gefahren war. Er wich mir nicht aus, wir stoppten beide. «Läufts?», wollte er wissen; ich überging die kumpel­hafte Frage oder brummte ein knappes «Jaja», aber das Geld, das würde ich noch vermissen. «Ich weiss», erwiderte er und schien nicht wirklich zerknirscht, er hätte noch keine Zeit gehabt; meinen Vorschlag, dann könne er mir die 120 Franken jetzt bar auf die Hand, übergingen wir beide, ich gehörte&gehöre nicht zu den starken Männern, die jemanden handgreiflich auf den Kopf stellen, um ihmihr das Geld aus den Taschen zu schütteln. «Und im Übrigen«, erinnerte ich mich, gäbe es in Bern gar keine Wilstrasse; «Wilerstrasse», korrigierte er mich, ich hätte ihn falsch verstanden, gab er sich gekränkt, und das Geld, das bekomme ich selbstverständ­lich in den nächsten Tagen. Ich nickte ohne Überzeugung, fuhr weiter, bevor er mich fragen konnte, ob ich ihn etwa für einen Bettler oder gar einen Betrüger hielte, so dass er mir seine guten Wünsche nachrufen musste. Die Kontrolle bestätigte, was ich schon wusste – es gab&gibt auch keine Wilerstrasse in Bern. Mein Geld, es war definitiv weg, und in nächster Zeit stiessen, Kollektivstrafe, BettlerInnen aller Art auf eisige Ablehnung bei mir.

In den ersten Wochen befürchtete ich, es könnte noch schlimmer kommen, ich könnte eines Tages in einer ausgeräumten oder durchwühlten Wohnung stehen, weil mein Einzahlungs­schein dem Schwindler genügend Informationen zugespielt; aber dann begann ich ihn zu ver­gessen, traf ihn auch nie mehr, vielleicht hatte er die Stelle gewechselt; schliesslich wurde er von anderem aus meinen aktiven Erinnerungen verdrängt. Ich hielt es je länger je weniger aus, SchülerInnen wie ein Stalker mit Lernzielen&kontrollen zu verfolgen, fand aber keine Schule – in welche Lernende begeistert&neugierig gerannt kämen, weil sie nicht als Störung eines durchdachten&organisierten Betriebes empfunden worden wären, der ohne sie perfekt funktio­niert hätte –, und als dann noch eine Leitung das Kommando übernahm, die sich, nach eigener Aussage, auf das Führen von Menschen freute, kündigte ich und versuchte, mich mit dem Verteilen von Nachrichten aus grossen&kleinen Welten sowie von Anpreisungen teurer Nutzlo­sigkeiten ökonomisch über Wasser zu halten – nicht wirklich erfolgreich. Nach dieser bezahlten Beschäftigung fuhr ich manchmal mit einem der ersten Busse zum Bahnhof und sah mir die Welt an, die nicht mehr die meine war.

Er hatte längst nicht mehr zu meinem Anekdoten-Repertoire gehört, als er mich an einem der Tage anrief, an denen ich das Telefon abnahm. Ich erkannte ihn nicht, zu kurz war unser Treffen gewesen, um mir seine Stimme einzuprägen, viele Leute erkenne ich, am Telefon oder im Radio, nach wenigen Sekunden, und natürlich nannte er einen anderen Namen als damals: «Grob.» Ich überlegte kurz, ob ich irgendwann mit einem Grob zur Schule gegangen, der mich jetzt, womöglich, dazu überreden wollte, mit ihm so eine Klassenzusammenkunft zu organisie­ren, aber dann vertraute ich meinem Gedächtnis – ein Grob war beim Zwölferreihe-Herunter­rattern und auch später beim Subjonctif-Pauken nie dabei gewesen. Fast hätte ich ihm einen schönen Tag gewünscht und innert Sekunden abgehängt, aber er nutzte mein kleines Zögern aus, säuselte nicht, er wolle mir nichts verkaufen, stoppte meine übliche Behandlung dieser Callcenterlinge mit seinem «Ich bin der, von dem du zu Recht annimmst, er habe dich betro­gen», und mit dem Nachsatz «Betrachte die 120 Franken als Investition» weckte er schliess­lich mein Interesse. Ich staunte, er erinnerte sich noch an den genauen Betrag, wie ich, schliesslich hatte ich noch nie jemandem auch nur annähernd soviel Geld in die Hand ge­drückt, ohne et­was gekauft zu haben, und er – war er nie so erfolgreich gewesen wie bei mir?
«Ich habe deine Website besucht», fuhr er fort, «du hast mir ja nicht nur einen Einzahlungs­schein, sondern auch deine Karte gegeben, eigentlich ziemlich unvorsichtig, aber wie du siehst, habe ich dein Vertrauen nicht missbraucht.» Er gab sich als gescheiterter Schauspieler aus oder zu erkennen; mit dem Diplom der ehemaligen Schauspiel-Akademie habe er, wie die meisten, in deutschen Provinztheatern vorgesprochen, zwei, drei Mal den Hamlet, den Räu­berhauptmann Karl Moor, Mackie Messer in der «Dreigroschenoper» sowie TobyRobyKoby­Loby in Dürrenmatts «Besuch der alten Dame» gespielt, schliesslich – nachdem sie seine Figur aufgrund der ZuschauerInnen-Reaktionen nach der dritten Folge aus einer dieser Telenovelas geschrieben und eine berühmte Kollegin ihm gestanden hätte, dass sie zwischen den einzel­nen Engagements bei TVFilmTheater immer wieder stempeln müsse – den Versuch aufgege­ben, seinen Lebensunterhalt als richtiger Schauspieler zu verdienen; einmal noch habe er aufs grosse Geld gehofft, als er schon landes-, ja, europaweit für eine Anti-Aging-Crème von Pla­katen&Flachbildschirmen gelächelt, einer Salbe, die dreissigjährige Falten porentief zum Ver­schwinden bringen sollte, aber dann habe so eine People-Journalistin geschrieben, er sei ja noch nicht einmal dreissig, die Furchen, welche die Crème in Sekunden weggeschmiert, nur aufgemalt.
Er habe sich überlegen müssen, ob er sich, wie viele seiner KollegInnen, als Lehrer an einer Film- oder Schauspielschule, Regisseur in einem Zürcher Oberländer Laientheater, Theaterpä­dagoge in einem Erziehungsheim, Taxichauffeur oder Aktmodell durchs Leben bringen bezie­hungsweise sich doch noch für einen gefragten&krisensicheren Beruf, Sargschreiner oder Urologe, ausbilden wolle. Er habe sich nach ein paar schlaflosen Nächten entschieden, das erlernte Handwerk im Alltag&gewinnbringend einzusetzen, zugegeben, nicht vor grossem Pub­likum und ohne TheaterkritikerInnen, aber mit individuellem Treatment. «Das hast du ja am eigenen Leib erlebt.»
Er habe gesehen, dass ich Geschichten schreibe, «von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt», stellte er erbarmungslos fest; ich sah sein grinsendes Gesicht vor mir, während er mich, erfolg­reich, zu überzeugen versuchte, einzelne aufmerksame&mitfühlende ZuhörerInnen füllten Bauch&Kasse weit besser als die Veröffentlichung eines unbeachteten Bändchens, das im äusserst volatilen Buchmarkt – er brauchte tatsächlich diesen ökonomischen Begriff - nach wenigen Tagen wieder vom Tisch an der Kasse verschwände, nach ein paar Wochen aus dem Gestell geräumt, schliesslich vom Verlag verramscht oder gar eingestampft würde.

Als die Züge wieder freie Sitzplätze hatten, holte ich mir meinen Anteil.

Das individuelle Treatment oder
Der Tag, an dem ich das Telefon abnahm

Text (Jürgmeier) und Illustration (André Sandmann) sind als Dank für einen entwickelt worden - der mich bei Aufbau und Erneuerung meiner Website programmierend unterstützt, hier nur als «jemand» genannt werden will und zu den seltenen Menschen gehört, die für ihre Arbeit nicht immer bezahlt werden wollen.